Es gibt viele Mythen und Glaubenssätze in Unternehmerfamilien. Einige davon beziehen sich auch auf die Gründung von Family Offices. Teil 4 dieser Beitragsserie lautet:
Mythos #04:
Ein eigenes Family Office lohnt sich erst ab einem Vermögen von €250 Mio.
Jeder, der sich mit dem Gedanken an ein eigenes Family Office beschäftigt, fragt sich, ob sich der Aufwand dafür eigentlich lohnt. Das gilt für die Familie, die neben dem Unternehmen einige Vermögenswerte angehäuft hat und für diese eine professionellere Verwaltung sucht, genauso wie für den Verkäufer eines Unternehmens, der sich fragt, mit welchen Strukturen er den Verkaufserlös optimal anlegen und vermehren kann. Die Antwort, die man relativ einhellig auf diese Frage hört, lautet: so ab etwa 250 Mio. Euro freies Vermögen (also Vermögen jenseits des Familienunternehmens, wenn es noch vorhanden ist).
Wo kommt diese Zahl her? Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass eine professionelle Vermögensverwaltung, die sich lohnen soll, zwar schon etwas kosten, andererseits aber auch nicht zu sehr die Vermögensrendite schmälern darf. Diese vertretbaren Kosten werden mit 30 bis 50 Basispunkten veranschlagt, weil eine Verbesserung der Rendite in dieser Größenordnung durch eine professionalisierte Vermögensverwaltung im Minimum realistisch erscheint. Diese Renditepotentiale dürften in den meisten Fällen schon allein durch die Optimierung der Kosten von Banken, Vermögensverwaltern und Fondsanbietern zu heben sein.
Die zweite Annahme, die dieser Zahl zugrunde liegt, sind die Kosten für ein eigenes Family Office. Hier wird mit einer Größenordnung von 750.000 € bis 1.250.000 € p.a. kalkuliert. Nimmt man aus beiden Bandbreiten die Mitte, kommt man zu einem Vermögen von 250 Mio. €, für das Kosten in Höhe von 1.000.000 € eine Renditeschmälerung von 40 Basispunkten bedeuten.
Ich weiß nicht, ob Sie beim Lesen dieser Zeilen den gleichen Eindruck haben wie ich beim Schreiben: So richtig überzeugend klingt das nicht. Das liegt an Zweierlei: Ohne eine konkrete Vorstellung davon, was das Family Office im Einzelnen leisten soll, lassen sich dessen Personalbedarf und Kosten nicht sinnvoll kalkulieren. Vor allem aber ließe sich die Sinnhaftigkeit eines eigenen Family Office allenfalls dann allein von der Vermögensgröße ableiten, wenn sich seine Aufgaben in der Optimierung der Rendite dieses Vermögens erschöpften. Die meisten Family Offices haben aber weit darüber hinaus gehende Aufgaben: Die Ausarbeitung von Nachfolgekonzepten, die Organisation von Familienevents, das Erbringen spezieller Services für einzelne Gesellschafter, die Verfolgung philanthropischer Aktivitäten und selbst das sog. Corporate Housekeeping sind einige Beispiele für Aktivitäten, die mit bloßer Vermögensanlage nichts mehr zu tun haben und deshalb auch unabhängig von den Renditeerwartungen an das Vermögen gesehen werden müssen.
Ab wann lohnt sich ein eigenes Family Office denn dann? Für die Beantwortung dieser Frage sollte man eher über das Inhaltliche kommen als über die Zahlen: Der Vermögensträger, der über die Gründung eines Family Office nachdenkt, sollte sich fragen, welche Leistungen er sich davon erwartet. Im zweiten Schritt sollte er überlegen, welches Personal er für die Erbringung dieser Leistungen benötigt. Dann erst kann er die Kosten für das Family Office grob kalkulieren und sich im dritten Schritt fragen, ob ihm diese Leistungen diesen Kostenblock wert ist. Dabei spielt das Vermögen natürlich insofern eine Rolle, als es diese Kosten hergeben muss. Aber die Angemessenheit der Kosten folgt aus der Vermögenshöhe genauso wenig, wie man den Lohn für einen Gärtner in Relation zum Wert des von ihm gepflegten Grundstücks setzen würde. Seine Kosten richten sich nur teilweise nach der Größe des Grundstücks und überhaupt nicht danach, ob dieses wegen einer attraktiven Blicklage sehr wertvoll ist. Sie steigen vielmehr umso stärker, je mehr Leistungen neben dem Mähen des Rasens noch beauftragt werden. Sofern diese Arbeiten erledigt werden müssen, fragt man auch nicht danach, ob die Kosten dafür in einem sinnvollen Verhältnis zum Grundstückswert stehen. Man überlegt allenfalls, ob man manche Arbeiten vielleicht lieber selbst durchführt oder ob man sie von anderen Anbietern günstiger erhält. So liegt es auch beim Family Office: Seine Kosten werden durch die von ihm zu erfüllenden Aufgaben bestimmt und es ist sinnvoll, darüber nachzudenken, welche Aufgaben dies sein sollen und ob man sie nicht zumindest teilweise woanders einkauft. Wie bei der Gartenpflege ergibt sich aber die Angemessenheit der Kosten nicht aus dem Verhältnis zum Wert des bearbeiteten Vermögens.
Und tatsächlich zeigen empirische Zahlen, dass vielen Familien ihr Family Office mehr als die o.g. 30-50 Basispunkte wert ist, weil es eben auch mehr Leistungen erbringt als die bloße Optimierung der Kapitalanlage. Im „Global Family Office Report“ der UBS von 2022 (dort S. 47) wird für kleinere Family Offices mit einem verwalteten Vermögen von 100-250 US$ eine Kostenquote von knapp 60 Basispunkten ausgewiesen, die bei großen Family Offices mit einem verwalteten Vermögen von über 1 Mrd. US$ auf knapp 32 Basispunkte sinkt. Laut „A guide to establishing a family office“ der Citi Private Capital Group von 2021 (dort S. 18) betragen die Kosten für Family Offices sogar 100-200 Basispunkte des verwalteten Vermögens. Wie bei den meisten empirischen Zahlen über die Szene ist wahrscheinlich auch hier wieder die Probe zu klein und die Definition der berücksichtigten Vermögensgrößen und Kosten nicht einheitlich. Aber es wird deutlich, dass in praxi sich die Familien bei der Gründung von Family Offices weder an das in dem Mythos postulierte Mindestvermögen halten noch an den dafür kalkulierten Kostensatz.
Das ist auch richtig so, weil die für ein Family Office zu veranschlagenden Kosten sehr individuell gestaltbar sind und es wenig sinnvoll ist, ohne genaue Definition der zu erbringenden Leistungen eine Kostenschätzung abzugeben und darauf die Entscheidung für oder gegen ein Family Office zu gründen. Zudem können Family Offices ganz unterschiedlich organisiert werden. Gerade bei kleineren Vermögen können im eigenen Family Office selbst erbrachte und von Dritten zugekaufte Leistungen geschickt kombiniert werden. Der Wunsch der Familie nach passgenauer Betreuung muss dabei nicht verloren gehen. Er kann vielmehr zu überschaubaren Kosten realisiert werden. Näheres dazu in einem weitern Beitrag zu dieser Artikelserie.
Der Mythos ist falsch.
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